Warum der “Digitale Radiergummi” Unsinn ist

Seit einigen Tagen schon wird eine neue Sau durchs digitale Dorf getrieben: das “vergessende Internet”. Technische “Verfallsdaten” im Internet sind aber schlicht Unsinn, weil nicht umsetzbar. Grund dafür ist die abstrakte Netzstruktur des Internets: man nähert sich dem Kern des Problems der unkontrollierbaren Datenverteilung erst dann, wenn man als gegeben annimmt, daß ein Datensatz nach seiner Veröffentlichung abgerufen werden kann. Bereits die theoretische Chance des Abrufes sorgt dafür, daß wir als Urheber nicht mehr die Gewißheit haben, hier Kontrolle ausüben zu können. Ein Beispiel: Zeige ich jemanden ein Foto aus Papier in einem Fotoalbum aus Pappe, so kann ich ziemlich sicher sein, daß diese Person im Moment des Betrachtens das Bild tatsächlich nur an einem Ort speichert: im Gedächtnis. Sobald das Bild aber digital veröffentlicht wird, habe ich keine vergleichbare Sicherheit mehr. Und damit müssen wir als als Gesellschaft leben und entsprechende Konsequenzen ziehen.

Das klingt freilich einfach, ist es aber nicht. Deshalb ist es auch verständlich, daß stets nach einfachen Lösungen gesucht wird. Techniken wie “X-Pire” von Michael Backes aus Saarbrücken führen allerdings massiv in die Irre und sind deshalb sogar kontraproduktiv, weil sie wie ein Versprechen gegen schlechtes Wetter wirken, welches sich bei genauerer Betrachtung doch nur als simple Bekleidungsempfehlung entpuppt und nichts gegen das Wetter an sich ausrichten kann. So ist es auch mit Dateien, die sich selbst zerstören oder nicht mehr entschlüsselbar sind: sie wirken nicht da, wo sie eigentlich wirken sollten. Bei genauerer Betrachtung wird man feststellen, daß sie dies schlicht und ergreifend nicht können.

Es wäre deshalb besser für alle Beteiligten, wenn man sich auf das Kernthema konzentrieren und die Finger von Placebos lassen würde. Das heißt: umfassende Beschäftigung mit dem Thema Digitalisierung und Gesellschaft, umfassende Aufklärung und Debatte über Datenschutz und – vor allem – Datensparsamkeit, Konzentration auf interdisziplinäre Projekte und Debatten, sprich: die Verwebung von Technik, Recht und Gesellschaft statt singulärer, kontraproduktiver und ausschließlich technisch konnotierter Scheinlösungen sowie undifferenzierter Technikhörigkeit. Daß das mühsamer ist als irgendwo einen Knopf zu drücken und sich so einer Scheinsicherheit hinzugeben, dürfte einleuchtend sein. Und selbst wenn Technik hier Lösungen schaffen könnte: bevor für jedes neue Problem eine neue technische Lösung entwickelt werden muss, dürfte es einfacher sein, sich einmal interdisziplinär und grundlegend mit der Thematik auseinandergesetzt zu haben. Technik ist in diesem Falle nämlich leider keine Lösung, sondern nur gefährliche Augenwischerei.

UPDATE (31.1.2011):
Erste Sicherheitslücke ausgenutzt