FABIS

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Der Forschungs- und Arbeitsbereich Internetsoziologie (FABIS) der Hochschule Fresenius Berlin kann via E-Mail erreicht werden:

You can reach the Internet Sociology Department of Hochschule Fresenius in Berlin via e-mail:

E-Mail: stephan.humer @ hs-fresenius.de

Mehr Details gibt es hier (auf Seite 311f.)

More info here (p. 311 et seq)

Über Internetsoziologie

Zur Frage, was Internetsoziologie aus meiner Sicht ist, gibt es hier einige Informationen:

Was ist Internetsoziologie?

Es ist ein im Kontext meiner Tätigkeiten an der UdK gewachsener (und hier erstmals 2012 institutionalisierter) Arbeitsbereich sowie ein meine Arbeitsweise beschreibender Begriff, den ich erstmals 1999 mit der Initialisierung dieses Webangebotes im Rahmen meines Studiums an der Freien Universität Berlin öffentlich gemacht habe. Ich betrachte Internetsoziologie als den Arbeitsbereich, der sich soziologisch mit der Digitalisierung unserer Gesellschaft auseinandersetzt. Und in den Worten “Digitalisierung” und “Gesellschaft” liegt auch schon die logische Schlussfolgerung “Internetsoziologie”. Weniger geht es hier um die (technischen) Möglichkeiten, die das Internet den Soziologinnen und Soziologen gebracht hat, z.B. ganz neue bzw. andere Formen der (Online-)Markt- und Meinungsforschung oder die Datenextraktion aus sozialen Netzwerken wie Facebook zwecks Analyse und visueller Aufbereitung. Vorrangig geht es um die inhaltlichen Fragen und deren Beantwortung – auch wenn Methodenlehre natürlich ein wichtiger Teil ist. Es wurde noch in den 1990er Jahren gefragt, inwiefern sich eine Soziologie des Internets behaupten oder ausgestalten könnte. Ich denke, dass diese Frage spätestens seit den unzweideutigen Erfolgen von Big Data, aber eigentlich auch schon seit der allgemeinen Massenausbreitung des Internets beantwortet werden kann: mithilfe der aktuellen digitalen Entwicklungen kann man Aussagen über die gesamte (nichtdigitale wie digitale) Gesellschaft treffen. Spätestens jetzt reden wir wohl von Internetsoziologie, da die Verwebung von Internet und Gesellschaft in jeder Hinsicht und aus jeder Richtung klar erkennbar ist.

Was ist Internetsoziologie (noch) nicht?

Internetsoziologie ist (noch) keine unzweideutig umrissene soziologische Subdisziplin und auch kein eigenständiges Fach, kein Lehrstuhl, kein Institut, keine Fakultät.

Warum ausgerechnet „Internetsoziologie“? Es gibt doch schon Medienwissenschaftler, -psychologen und auch -soziologen, dazu Kommunikationswissenschaftler, Publizisten und zahllose andere Wissenschaftler, die das Thema Internet und Gesellschaft beackern.

Richtig, das Thema wird von vielen Seiten bearbeitet, jedoch fehlte mir bisher (und fehlt mir auch weiterhin in weiten Teilen) die Betrachtung von Seiten der Soziologie, die in anderen Ländern wie den USA deutlich häufiger anzutreffen ist. Wenn man das Internet (oder besser: die Digitalisierung unserer Gesellschaft) mit den Mitteln der Soziologie analysiert, schließt man m.E. nicht nur eine bestehende Lücke, sondern kommt in vielen Fällen, so meine These, auch zu Ergebnissen, die “näher dran am Phänomen” sind, denn das Internet ist ein (gesamt)gesellschaftliches Phänomen und mitsamt seinen Auswirkungen deshalb eine genuin soziologische Angelegenheit.
Ein Beispiel: Medienpsychologen bearbeiten beispielsweise die Frage, wie ein Computerspiel auf einen Spieler wirkt – ich bearbeite hingegen die Frage, welche Auswirkung dieses Computerspiel auf Gruppen oder gar die ganze (deutsche) Gesellschaft hat. Das machen Medienwissenschaftler vielleicht auch, doch es gibt in der Ausbildung und Ausrichtung m.E. doch erhebliche Unterschiede zwischen den Medienwissenschaften (andere Theorien, Methoden, Ansätze) und der Soziologie, so dass es zwangsläufig auch andere Ergebnisse geben wird. Wer jedoch soziologische Ergebnisse will, sollte sich der Soziologie widmen. Meine bisherigen Erfahrungen aus Studium und Wissenschaftsbetrieb bestätigen diesen Eindruck meist recht deutlich.
Dabei darf aber das Plädoyer für die Soziologie keinesfalls als Argumentation gegen die Medienwissenschaft oder andere sozialwissenschaftliche Disziplinen verstanden werden. Es geht vor allem darum, dass die Soziologie mit ihren Möglichkeiten m.E. besonders in Deutschland unterschätzt wird und ihre Möglichkeiten zu selten berücksichtigt werden, d.h. die Betrachtung der Möglichkeiten erscheint mir nicht ausreichend. Wenn man für die Analyse von Medienphänomenen beispielsweise die Medienwissenschaft heranzieht, ist dies schon ein guter Anfang, aber viel zu oft werden Versuche gestartet, die – wie im folgenden FAQ-Punkt beschrieben – wohl schon von Beginn an zum Scheitern verurteilt sind. Wenn man also unbedingt einen Gegensatz im Sinne von für und gegen abbilden möchte, dann fällt das Plädoyer für eine sozialwissenschaftliche (internetsoziologische) und gegen eine technikwissenschaftliche Medienanalyse aus.

Warum lassen wir nicht Techniker die Technik analysieren? Sie haben sie schließlich entworfen, entwickelt und hergestellt – also dürften sie sie auch am besten kennen.

Einer der größten, wenn nicht gar der größte Fehler, den man meiner Überzeugung nach machen kann, ist, soziale Fragen von Technikern beantworten zu lassen. Meist wird schon der Versuch scheitern. Techniker kennen die Technik, aber wenn beispielsweise die Grenzen eines Computerchips überschritten werden, spielen andere Dinge eine größere, meist sogar die entscheidende Rolle. Das Motto sollte deshalb – frei nach Vilém Flusser – stets sein: Technik ist zu wichtig, um sie nur Technikern zu überlassen. Schon die (akademische) Ausbildung befähigt Techniker nicht zu gesellschaftlichen Analysen und reine Technikkenntnis ermöglicht kein Verständnis sozialer Handlungen und Zusammenhänge.
Zudem musste leider immer wieder festgestellt werden, dass Techniker allzu oft nicht willens sind, sich auf andere Disziplinen – nicht-naturwissenschaftliche Disziplinen, um genau zu sein – einzulassen. Ein gemeinsamer Nenner war in zahlreichen Projekten nur äußerst schwer zu finden, was eine interdisziplinäre Analyse wiederum auch erschwert – eine sehr frustrierende und ineffiziente Arbeitsweise. (Auch wenn es hier freilich Ausnahmen gibt, die mich natürlich immer besonders freuen.)
Deshalb ist es eine der wichtigsten Aufgaben des “Projekts Internetsoziologie”, zu Beginn eines jeden gemeinsamen Projekts für einen gemeinsamen (sprachlichen) Nenner zu sorgen, für Offenheit, Inter- und Transdisziplinarität sowie professionelles Entgegenkommen und – ja, auch das! – Geduld. Techniker müssen sich dann “nur noch” darauf einlassen und dieses Einlassen durchhalten.
Die Soziologie steht an dieser Stelle aber völlig unzweideutig in der Pflicht, mehr Technikkenntnis in ihre Prozesse einzubringen als es bisher üblich war. Zu viele Analysen, die meines Erachtens gescheitert sind, scheiterten nicht am soziologischen, sondern am technischen Kenntnisstand. Wir brauchen letztlich keine Techniker mit soziologischen Ambitionen, sondern Soziologen mit profunden Technikkenntnissen (Stichwort Digital Literacy), denn die Handhabung von Technik ist eine soziale Angelegenheit. Der Mensch hat die Technik erschaffen – nicht umgekehrt. Dies ist ein bedeutender Aspekt des “Projekts Internetsoziologie”.

Wo liegt nun das konkret Neue (oder Andere) bzw. Einzigartige in der Internetsoziologie? Wozu noch eine Ausprägung der ohnehin weit gefächerten Soziologie?

Abgesehen davon, dass der digitale Raum in Deutschland – Angela Merkel lag 2013 völlig richtig mit ihrer Neuland-Analyse – immer noch weitgehend “Terra Incognita” ist, viel zu wenig analysiert wird und jeder sinnvolle Beitrag eine wertvolle Hilfe ist? Ich denke, dass die Analyse der Digitalisierung unserer Gesellschaft unter ganz bestimmten Voraussetzungen am besten gelingen kann, welche so nur ein Arbeitsbereich Internetsoziologie bietet (und die auch den Kern des internetsoziologischen Rahmenkonzepts Sociality by Design bilden):

I. Die Internetsoziologie konzentriert sich auf digitale Phänomene und schließt – anders als die Mediensoziologie – nichtdigitale Themen konsequent aus. Historisch-technische (Einzel)Aspekte anderer Medien werden aufgrund der medienhistorischen Singularität der Digitalisierung nur begrenzt eingebunden. Es geht vorrangig um die Neuheiten, die Eigengesetzlichkeiten, die Digitalisierung mit sich bringt, was nicht mit Ahistorizität gleichzusetzen ist.

II. Neben den soziologischen werden auch extrem umfangreiche und tiefgehende Technikkenntnisse eingebracht, d.h. es besteht (im Idealfall) die Möglichkeit der Analyse „bis ins letzte Bit”. Im Vergleich dazu kommt das klassische soziologische Studium ohne umfassende Technikausbildung aus, was diesbezüglich ein entscheidendes Problem darstellen dürfte. Die Disziplinen, von denen die Internetsoziologie besonders profitiert, sind somit Soziologie und Informatik – wobei dies nicht die einzigen Disziplinen sind, aber insbesondere zur Rolle der Designforschung: siehe III.

III. Die wahrscheinlich beste Methode (zumindest) in dieser Frühphase der Arbeit an der (hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft erfolgenden) Etablierung der “Idee Internetsoziologie” ist das “bastelnde Denken”[1], welches erstmals erfolgreich in meiner Arbeit Digitale Identitäten strukturiert umgesetzt werden konnte und seitdem in allen internetsoziologischen Arbeiten meinerseits unbestritten die methodische Metaebene bzw. den wissenschaftsphilosophischen Methodenkern darstellt. Das ständige Infragestellen sämtlicher wissenschaftlicher Strategien erscheint im Umgang mit dem historisch wie auch technisch und vor allem sozial völlig neuen Phänomen Digitalisierung (zumindest derzeit) als einzig gangbarer Weg, da Analogiebildungen wie auch Adaptionen nichtdigitaler Art weit überwiegend scheiterten bzw. schlicht falsch waren und somit ein ganz neues (ggf. wild erscheinendes bzw. bastelndes) Denken als einzige Möglichkeit übrigbleibt. (Deshalb ja die neue Internetsoziologie.) Konkret bedeutet dies beispielsweise eine grundsätzliche Anerkennung von Wikipedia als Quelle, inhaltlich[2] wie auch strukturell[3]. Zudem bedeutet es, dass Routine in der alltäglichen Forschung und Lehre konsequent abgelehnt wird: alles ist immer experimentell. Lehre ist immer forschend, Forschung ist immer verwoben mit der Lehre. Gearbeitet wird “live”, niemals statisch, niemals wiederholend. Routine ist nur im Sinne der Iteration (“Vom Groben ins Feine”) zulässig. Methoden und Theorien werden genau so infrage gestellt und überarbeitet, wie auch der digitale Raum ständig Änderungen vollzieht. Arbeit im digitalen Raum ist Prozess, nicht Projekt. Dies müssen Theorie und Methodik entsprechend abbilden. An dieser Stelle machen sich auch die Einflüsse der Designforschung (durch die Mitarbeit in der Digitalen Klasse der UdK) entsprechend bemerkbar.

IV. Was für die Metaabene (= das Rahmenkonzept, die Idee Internetsoziologie an sich) gilt, gilt auch für die Mikroebene (= das Arbeitskonzept, die internetsoziologische Arbeit): die Anwendung, Weiter- und Neuentwicklung von (vor allem) soziologischen Methoden – gleichermaßen quantitativ wie qualitativ – nach dem Foucaultschen Werkzeugkastenprinzip[4] stellt hier das methodische Kernkonzept dar, flankiert von psychologischen Ideen und Methoden. Es gibt kein zwanghaftes Festhalten an der einen Lieblingstheorie, -schule oder -methode, so wie bei manchen Soziologinnen und Soziologen üblich. Die Psychologie hat hier zudem Vorrang vor anderen Disziplinen wie der Politologie oder der Ökonomie, da die Betrachtung der Wirkungen von Digitalisierung auf den Einzelnen und die Gruppe im Vordergrund stehen, nicht politische oder wirtschaftliche Prozesse. Wenn an dieser Stelle jedoch unbedingt ein einzelner Theoretiker genannt werden soll, der zumindest mich sehr inspiriert und begeistert hat, dann ist es zweifellos Karl Popper. Dieser prägte meine internetsoziologische Arbeit sicher wie kein zweiter Philosoph: “Obzwar ich fast immer an scharf bestimmten wissenschaftlichen Problemen arbeite, so geht durch alle meine Arbeit ein roter Faden: für kritische Argumente – gegen leere Worte und gegen die intellektuelle Unbescheidenheit und Anmaßung.”[5]

V. Eine konsequent transdisziplinäre Zusammenarbeit mit Technikern und Juristen in leistungsstarken, kommunikationsfreudigen (Projekt-)Teams mit dem Ziel einer ganzheitlichen Digitalisierungsanalyse (Technik, Recht, Gesellschaft) ist das vornehmliche Ziel bei Verbundprojekten. Idealerweise werden die so gewonnenen Erkenntnisse aufbereitet und (nach Absprache mit den Projektpartnern) anderen (externen) Kolleginnen und Kollegen zur Verfügung gestellt, beispielsweise auf dieser Website/in diesem Wiki, auf Konferenzen oder in den klassischen Medien.

VI. Die Verbindung von Grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung, d.h. die Aufrechterhaltung einer permanenten Skalierbarkeit (“vom Groben ins Feine” und zurück bzw. Induktion <> Deduktion) zur Schaffung von konkretem Mehrwert zeichnet die Internetsoziologie aus – es gibt somit kein digitales „l´art pour l´art“. Dieser Aspekt ist stark mit dem transdisziplinären Arbeits- und Kommunikationsansatz verbunden.

VII. Ein intensiver (digitaler) Austausch mit international tätigen Kolleginnen und Kollegen (z.B. den über 2000 Mailinglisten-Mitgliedern der Association of Internet Researchers (AoIR), Kooperationsvereinbarungen mit Instituten und Einrichtungen in Ländern mit ausgeprägter Internetanalyseaffinität zur Stärkung der Forschernetzwerke und der Institutionalisierung des Forschungsfeldes) gehört ebenso zur alltäglichen internetsoziologischen Praxis wie die Anbindung an lokale Forschungseinrichtungen wie das Alexander-von-Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG), aber auch der von Bundesforschungsministerin Johanna Wanka geforderte populärwissenschaftliche Dialog.

VIII. Umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit durch (populärwissenschaftliche) Beiträge in den Medien, Vorträge und Beratungen gehören ebenfalls zum internetsoziologischen Alltag, denn letztlich sollen nicht nur Fachdiskussionen entstehen, da die interessierte Öffentlichkeit ganz konkret von den Ergebnissen „betroffen“ ist und Digital Literacy mindestens genauso braucht wie die Fachöffentlichkeit.

IX. Es gilt der Grundsatz des wissenschaftlichen Minimalismus: so wenige Quellen, Methoden, Theorien wie möglich. Wir halten es dabei mit Antoine de Saint-Exupéry: „Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen, sondern nichts mehr weglassen kann“. Dies streben wir an. Sobald das Problem „grob“ gelöst ist (= d.h. es gelingt beispielsweise eine erste empirische Überprüfung), wird die Arbeit „eingestellt“ (Version 1.0). Soll es „feiner“ werden, ist das ein neuer Arbeitsschritt (Version 2.0). Wie weit man geht (Version x.0?), ist von der Verfeinerung bzw. Veränderung der jeweiligen Problemstellung abhängig. Vermieden werden muss aber auf jeden Fall „der große Wurf“ – denn der lässt sich bei digitalen Projekten grundsätzlich nicht (mehr) erreichen. Vor allem aus Zeitgründen. „Rough and ready“[6] geht vor perfekt, aber zu spät. Hinzu kommt, dass genau deshalb Unleserliches vermieden werden muss: „Wer’s nicht einfach und klar sagen kann, der soll schweigen und weiterarbeiten, bis er’s klar sagen kann.“ Wir folgen deshalb in unserem Arbeitsbereich Karl Poppers Plädoyer für intellektuelle Redlichkeit.

X. Die (Selbst)Beobachtung im Arbeitsprozess spielt eine sehr große Rolle. Digitale Arbeitsstrategien sind auch persönlich fordernd. So schwingt beispielsweise permanent das Gefühl mit, immer mehr zu verpassen als zu (er)klären.[7] Wie geht man aber mit diesen methodischen und persönlichen Herausforderungen um? Eine maximale Introspektion ist Teil einer jeden internetsoziologischen Arbeit.

Gibt es ein erstes Werk, welches sich „internetsoziologisch“ nennen kann?

Nach Meinung von Udo di Fabio[8] und einigen anderen: ja, mein Buch Digitale Identitäten.

Wie wird die internetsoziologische Idee weiterentwickelt?

Die Wissenschaftswelt hat sich in den letzten Jahren bekanntlich grundlegend gewandelt: unbefristete Stellen für ein Vorhaben Luhmannscher Dimension („Theorie der Gesellschaft, Laufzeit: 30 Jahre, Kosten: keine“)[9] sind de facto nicht mehr zu bekommen. Selbst neuberufene ProfessorInnen haben meist eine mehrjährige Probezeit und beileibe nicht mehr den Freiraum, den ihre VorgängerInnen hatten – die „Kennzahlen für Erfolg“ sehen inzwischen anders aus als früher und sind deutlich quantitativer.[10] Deshalb kann die reine Theorieentwicklung leider keine Priorität einnehmen, sondern muss ganz konkret ausgestalteten Stellen und Projekten den Vorrang lassen. Dies ist meines Erachtens aber nicht das entscheidende Problem, denn die meisten meiner Projekte passen sehr gut in den internetsoziologischen Fokus und ermöglichen deshalb letztlich auch eine permanente Weiterentwicklung einer internetsoziologischen Theorie. Ich würde sogar wagen zu behaupten, dass inzwischen die meisten (neuen) Projektpartner sehr gut über meine internetsoziologischen Bemühungen informiert sind und deshalb gezielt eine Kooperation suchen. Über einige Umwege kommt man so also auch zum Ziel. Deshalb können auch jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen wertvollen Theoriebeitrag leisten, auch wenn sie nicht Luhmanns Lehrstuhlvorzüge genießen. Es ist zwar organisatorisch schwierig und inhaltlich anstrengend, gar keine Frage, aber sicher nicht gänzlich unmöglich. Und vor allem ist es nicht umsonst, davon bin ich überzeugt.

Was kann die Internetsoziologie (heute schon) leisten?

Wenig – wie jede andere (Sub)Disziplin auch. Das mag jetzt überraschend klingen, in manchen Ohren vielleicht erfreulich oder sogar „erfrischend“ ehrlich, aber es ist nun mal so. Und ist es wirklich überraschend? Oder einfach nur sehr ehrlich? Denn was können wir heute, bei der Daten- und Informationsfülle, denn wirklich noch „exakt“ sozial bestimmen – und, vor allem, für wie lange? Ich würde sagen: Ist nicht die Idee einer Bekräftigung, so wie sie Karl Popper vertrat (anstelle einer Bestätigung – oder des Versprechens derselben), nicht nur ehrlicher, sondern schlicht die einzig plausible Lösung? (Empfohlen sei an dieser Stelle Poppers Idee der Falsifizierbarkeit.)[11]
Da wir uns über die Grenzen unserer Möglichkeiten in dieser Hinsicht absolut im Klaren sein dürften, gilt für unsere Arbeit folgender Maßstab, wie ihn ebenfalls Karl Popper definierte: „Um ein Wissenschaftler zu sein, muss er auch Ideen haben.“[12] Ideen sind also unser Kern. Ideen können wir liefern, das können wir mit Sicherheit leisten – konkreter geht es, wiederum gemäß Karl Popper, um problemlösende Ideen: „Meine Erfahrung in der Wissenschaft ist, dass ein neues Problem sehen die größte und wichtigste Leistung eines Wissenschaftlers ist. Als nächste Leistung ist eine hinreichend gute Phantasie zu haben, um auch dann neue Problemlösungen vorzubringen.“ Deshalb: Probleme erkennen, Lösungen entwickeln, Ideen präsentieren. Darum geht es. Oder wie Hans Albert einmal zu „Worten ohne Substanz“ sagte: „Welches Problem wollten Sie mit ihrem Vortrag eigentlich lösen?“[13] Die Problemlösung ist unser Maßstab und wird es immer bleiben.
Ergänzend passt dazu ein Zitat, welches von John Archibald Wheeler zu stammen scheint: „serve as a science-technologist generalist who, not once or twice his life, but many times in a year, and generally in the service of others, extracts the single, simple missing point out of a complicate situation“[14] Das kann Internetsoziologie, und das macht sie auch seit 2005. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Ist das wenig oder viel? Entscheiden Sie selbst.

Wenn die Internetsoziologie noch ganz am Anfang steht, wie kann man sich dann „Internetsoziologe“ nennen? Ist so eine Bezeichnung denn überhaupt möglich, wenn die Subdisziplin noch nicht ausdifferenziert wurde?

Ich sehe es so: die Arbeit an einer Internetsoziologie ist ein ausreichendes Merkmal für eine entsprechende Tätigkeitsbeschreibung, es muss deshalb nicht unbedingt auf Basis einer ausdifferenzierten Internetsoziologie gearbeitet werden. Die Erforschung neuer Phänomene ist ja gerade ein entscheidendes Merkmal wissenschaftlichen Arbeitens, weshalb meines Erachtens sowohl das Arbeiten auf Basis einer Theorie als auch die Neu- oder Weiterentwicklung gleichermaßen wichtig sind. Zumal: wann ist eine (Sub)Disziplin denn tatsächlich ausreichend ausdifferenziert? Wenn sie erstmals konsequent institutionalisiert wurde? Dann könnte ich behaupten: dies ist in Grundzügen bereits seit 2006, spätestens jedoch seit 2012 mit meinem eigenen Arbeitsbereich an der UdK Berlin[15] der Fall und wurde von mehreren Professoren und Experten aus anderen Bereichen auch so bestätigt und benannt. Ich behaupte aber nicht, die Internetsoziologie „erfunden“ zu haben, denn aus den o.a. Gründen betrachte ich das Ganze eher als „Work in progress“.

Wieso fand dies zu Beginn vor allem an der Berliner UdK statt?

Ganz einfach: weil Joachim Sauter, Leiter der Digitalen Klasse, der erste war, der die Sinnhaftigkeit dieses Vorhabens in seiner Ganzheitlichkeit erkannte und nach Kräften förderte. Deshalb fand die internetsoziologische Arbeit bis 2015 an der Fakultät Gestaltung (englisch inhaltlich etwas treffender: The College of Architecture, Media and Design) im Institut für zeitbasierte Medien statt. Dabei bot die kreativ-transdisziplinäre Atmosphäre des Medienhauses der UdK mit den herausragenden Kolleginnen und Kollegen, den kreativ-neugierigen Studierenden und ihren digital-sozialen Ideen (welche besonders gut zum Ende des Sommersemesters auf dem traditionellen UdK-Rundgang zu bewundern sind) unbestreitbare Vorteile, die bei der Entwicklung neuer Ideen, Theorien, Methoden, Ansätze und Experimente in diesem Bereich zum Tragen kommen. Der wahrscheinlich bedeutendste Vorteil ist die Abwesenheit der Idee, dass das Internet zwar ein „Misthaufen“ sei, aber auf Mist ab und zu auch mal schöne Blumen blühen. Das ist eine recht defätistische, wenn nicht gar dystopische Sichtweise, die von uns, den Mitgliedern der Klasse, abgelehnt wird. Wir stellen nicht Versuch und Irrtum oder das „Prinzip Hoffnung“ in den Vordergrund, sondern Methodik, Effizienz und Effektivität – das Internet ist eher ein unbeschriebenes Blatt mit viel Raum für Ideen, und die Innovationskraft für solche Entwicklungen findet sich in der Digitalen Klasse. Nicht umsonst zählt die Digitale Klasse zu den weltweit erfolgreichsten Digitaldesignklassen und Joachim Sauter zu den besten und gefragtesten Designern der Welt. Seine Ideen sind gleichermaßen künstlerisch wertvoll wie auch gesellschaftswissenschaftlich anwendbar, so dass ein Denken über die Grenzen der Computerchips hinaus hier tägliche Übung ist. An zu analysierenden Phänomenen mangelt es mir glücklicherweise nicht. Und genau so ein Setting brauchte es meines Erachtens, wenn man innovative und wissenschaftlich anspruchsvolle Lösungen für die Analyse der Digitalisierung unserer Gesellschaft erhalten wollte. In 2016 zog der Arbeitsbereich an eine andere Hochschule um. Und das mit einem lachenden und einem weinenden Auge.[16]

Es gibt also einen offiziellen Arbeitsbereich Internetsoziologie?

Ja.

Wie lange wird dieser bestehen?

Dauerhaft.

Was ist das Ziel von Internetsoziologie.de?

Erstens: ganz klar die Vernetzung. Die Analyse der Digitalisierung unserer Gesellschaft mit teilweise völlig neuen und bewusst mit bestehenden Konventionen brechenden soziologischen Mitteln und Methoden soll gestärkt und institutionalisiert werden. Ob sich die Ergebnisse dann auch “Internetsoziologie” nennen oder nicht, ist wohl eher nachrangig. “Digitale Soziologie”, “Soziologie des Internets” und “Soziologie digitaler Medien” sind Begriffe, die auch in Ordnung sind. (“Digitalisierungssoziologie” klingt in meinen Ohren ziemlich hingegen ziemlich meschugge, wenn ich ehrlich sein darf, weshalb ich dieses Wortkonstrukt ablehne.)

Zweitens: Internetsoziologie.de ist natürlich ein knallhartes Plädoyer für eine demokratische Wissenschaft auf Basis der Menschenrechte. Ich habe die Politisierung und Ideologisierung von Wissenschaft schon im Studium nicht leiden können, denn ich habe kein Interesse an “revolutionären” Ideen oder einer wirren politischen Instrumentalisierung von Wissenschaft, sondern an Wissenschaft – ohne Wenn und Aber, sprich: ohne Ideologie. Deshalb wird es hier auch keinerlei Parteiwerbung, Lobbyismus oder andere inhaltliche Vorgaben, Überzeugungsversuche oder ideologische Schleichwerbung geben. Soziologie ist keine Werbemaßnahme, kein Vehikel und kein Mittel für die “Weltrevolution”, den Marxismus oder sonstige politische Phantasien bzw. Spinnereien. Es ist eine Wissenschaft und nur darum geht es hier. Dasselbe gilt übrigens für den Sicherheitsforschungsteil dieser Website: ich verurteile ausnahmslos ALLE Extremismen, egal ob politisch (rechts/links) oder religiös motiviert! Dass das den jeweiligen ExtremistInnen nicht gefällt, versteht sich von selbst – ist mir allerdings auch egal.

Wie ist Internetsoziologie.de entstanden?

1999 entstand internetsoziologie.de, die Website über die Soziologie des Internets, als eine logische Konsequenz in Hinblick auf die Verbindung von Gesellschaft und Technik, die sich für mich bereits während des Studiums der Soziologie ergab, wie Sie bereits im ersten Kapitel lesen konnten. Private Vorläuferinhalte waren bereits seit 1992 online (in Form einer Mailbox[17], seit 1996 dann im WWW unter der Domain humer.de); seitdem wandelte sich die Website ständig. 1999 erhielt sie den aktuellen Namen samt Domain. Erst gab es nur eine einfache HTML-Seite mit einigen soziologischen Kerninfos, dann diente die Website zunehmend als Anlaufstelle für die EDV-Kurse, die von mir an der Freien Universität Berlin veranstaltet wurden sowie als Plattform für Seminare und Projekte, die im Institut für Soziologie verortet waren. Seit 2005 dient die Website vor allem der Forschungs- und Dozenturenbegleitung sowie als Anlaufstelle für Internetsoziologie-Interessierte.

Auf Deiner Website stehen einige kontroverse Forschungsthemen mit teilweise deutlichen Aussagen. Wo positionierst Du dich denn selbst?

Ob das wirklich alles so kontrovers ist – ich bin mir da nicht sicher. Ich befürchte eher, dass manche Themen gern aufgeblasen werden, um medialen Wirbel zu erzeugen. Aber wie dem auch sei: Ich bin Wissenschaftler. Demzufolge bewerte ich hier nichts privat bzw. persönlich, sondern immer als Wissenschaftler und versuche, so nahe wie möglich an die Wahrheit heranzukommen. Ich bin kein Parteimitglied, kein Parteianhänger, kein Partei”bevorzuger” und auch nicht interessiert an ideologischem Wirken jenseits von Demokratie und Menschenrechten im Allgemeinen. Dass man sich mit der Kommunikation mancher Ergebnisse nicht immer bei allen beliebt macht, gehört zur Wissenschaft dazu. Vor allem im Bereich der Terrorismus- und Extremismusforschung, die bei den jeweiligen Terroristen und Extremisten selten gut ankommt. Schließlich deckt man Zusammenhänge, Strukturen, Inhalte und Personen auf, die oftmals lieber im Dunkeln geblieben wären.

Was hat Sicherheitsforschung denn mit Internetsoziologie zu tun?

Spätestens es das Forschungsfeld Social Media Intelligence gibt, dürfte der Zusammenhang besonders leicht erkennbar sein. Aber auch Intelligente Videoüberwachung[18] ist natürlich ein typisches Internet-und-Gesellschaft-Thema. Dazu findet man auf dieser Website so einige Informationen.

Die obigen Informationen stammen aus meinem Buch “Internetsoziologie”. Entsprechende Verweise findet man hier:

[1] https://www.schauspiel-stuttgart.de/spielplan/spielzeit-2015-2016/wozu-texte-spielzeit2013-2014, Seite nicht mehr abrufbar.
[2] Siehe zu diesem “Stimmungswandel” in der Wissenschaft beispielsweise http://www.zeit.de/digital/internet/2012-04/wikipedia-scholarpedia-verweise, abgerufen am 5.5.2019.
[3] https://www.internetsoziologie.at/de/wiki/index.php/Sociality_by_Design, abgerufen am 5.5.2019.
[4] http://foucaultundco.blogspot.de/2008/08/der-foucaultsche-werkzeugkasten.html, abgerufen am 13.12.2018.
[5] http://www.zeit.de/1971/39/wider-die-grossen-worte, abgerufen am 29.4.2019.
[6] https://en.wiktionary.org/wiki/rough_and_ready#English, abgerufen am 29.4.2019.
[7] https://www.springerprofessional.de/it-sicherheit/risikomanagement/-der-tsunami-an-daten-und-geraeten-ist-eine-echte-herausforderun/15443332?fulltextView=true, abgerufen am 29.4.2019.
[8] https://www.vodafone-stiftung.de/uploads/tx_newsjson/transmission02.pdf, abgerufen am 5.5.2019.
[9] http://www.humboldtgesellschaft.de/inhalt.php?name=luhmann, abgerufen am 29.4.2019.
[10] http://www.zeit.de/2015/31/wissenschaft-professoren-engagement-oekonomie, abgerufen am 29.4.2019.
[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Falsifikationismus#Falsifizierbarkeit, abgerufen am 29.4.2019.
[12] https://www.youtube.com/watch?v=1467dwUh5Nw, abgerufen am 29.4.2019.
[13] https://www.giordano-bruno-stiftung.de/meldung/zum-90-geburtstag-prof-dr-dr-hans-albert/seite/0/1, abgerufen am 29.4.2019.
[14] https://www.caida.org/publications/presentations/2005/topproblemsnet/topproblemsnet.pdf, abgerufen am 5.5.2019.
[15] https://www.internetsoziologie.at/de/?p=2599, abgerufen am 5.5.2019.
[16] https://www.internetsoziologie.at/de/?p=5795, abgerufen am 5.5.2019.
[17] https://de.wikipedia.org/wiki/Mailbox_(Computer), abgerufen am 5.5.2019.
[18] Siehe dazu die permanent aktualisierte Literaturübersicht unter ivü.de.