Kommentarbereichssperrungen: das falsche Einknicken zahlreicher Onlinemedien

Was war zuerst? Huhn oder Ei? Diese Frage stellt sich auch, wenn man die Kommentarbereiche zahlreicher Onlinemedien anschaut – oder besser gesagt: das, was von ihnen noch übrig ist. Seitdem auch die “Welt” nur noch unter “ausgewählten Artikeln” Kommentare zulässt, fehlt mir zwar ein wichtiges Element meiner bisherigen Medienanalyse – aber zugleich wird auch sehr deutlich, wie fragil eine solche Analyse ist und wie grob (“Eher ja/eher nein”) sie wohl auch in ihrer Aussagekraft nur sein kann.

Denn es ist sehr viel Bewegung drin: in der Debatte, was man löscht und was nicht, in der Debatte, wie man löscht (automatisiert, per Hand oder beides – oder gar nicht), in der Debatte, was man zulässt und was nicht (lässt man vieles zu: ggf. juristische Probleme, Trolle, Ärger – lässt man wenig oder gar nix zu: ggf. Abwanderung der LeserInnen zu “alternativen Medien”, Shitstorm, Ärger). Bewegung macht es spannend, läßt aber eben auch nur sehr vage Aussagen zu (oder sehr grobe Einteilungen, s.o.). Ein valides Modell läßt sich so nicht entwickeln, da sich die Rahmenbedingungen oftmals so schnell und stark ändern, daß man seine Arbeit gleich wieder einstellen kann, noch bevor man einen Schritt weiter gekommen ist. Das war aber absehbar (Digitalisierung = Tempo), weshalb ich bei allzu euphorischen Analysetools immer skeptisch bin. Zu viele Versprechungen auf der Detailebene, das kann oftmals nicht funktionieren. Wer heute meint, den einen Weg zur Meinungsanalyse gefunden zu haben, kann schon morgen denselben versperrt vorfinden. Zu viel hat sich in der Vergangenheit geändert, zu wenig blieb stabil. Meine Prognose in Sachen AfD (siehe hier) bleibt allerdings bestehen. Dafür waren die Erlebnisse der letzten Monate zu intensiv. So schnell wird die Meinung (“pro AfD”) bei zahlreichen Wählerinnen und Wählern nicht mehr drehen. Wir werden es am 13. März erleben.

Doch warum ist das so? Sprich: wie kommt es eigentlich zu dieser Meinung “pro AfD”, was sind die Gründe? Das führt uns zurück zu der Huhn-oder-Ei-Frage zu Beginn dieses Textes, denn: was war eigentlich zuerst da? Eine Stimmung pro AfD, die nur digital sichtbar wurde? Oder führte die Digitalisierung erst zur AfD-Stimmung? Prägen Menschen das Digitale oder prägt das Digitale die Menschen?

Ich sehe die digitalen Möglichkeiten nicht als Ursache. Es wurde sichtbar, was ohnehin da ist – es entstand jedoch nichts, woran die Digitalisierung nun die Schuld trägt. Denn wenn jemand überzeugt oder gar radikalisiert werden kann, muss er dafür auch offen, empfänglich, bereit sein. Allerhöchstens tragen (digitale) Massenmedien somit einen Beitrag zur Überzeugung der Unentschlossenen bei. Mein Eindruck in den letzten Monaten war jedoch bei diesem Thema, daß Digitalisierung all denjenigen, die schon längst überzeugt sind, schlicht – “endlich”, so schienen viele zu meinen – ein Forum bietet. Denn die Aussagen waren oftmals so unzweideutig, hart, kompromisslos, undiplomatisch und glasklar, dass ich hier nicht den Eindruck gewinnen konnte, einigen Unentschlossenen beim “Werden” zuzuschauen. Die Mehrheit wurde nicht, sondern war bereits.

Deshalb ergibt es jetzt auch keinen Sinn, durch Sperrungen von Kommentierungsmöglichkeiten oder das Ausweichen auf Facebook (“Sollen sie dort kommentieren, dann ist der Hass Facebooks Problem”) die Hoffnung zu schüren, Dinge würden besser (= weniger negativ im mannigfaltigen Sinne der Onlinemedien/Kommentarbereichsbetreiber) werden. Denn erstens gibt es wie gesagt Alternativen – selbst zu Facebook (siehe dazu bspw. “Russisches Netzwerk VK.com: Sammelbecken für Facebook-Hetzer”). Und zweitens liegen die Ursachen eben nicht in den digitalen Möglichkeiten, sondern in den Köpfen der Menschen. Und da bleiben letztlich nur zwei Aspekte übrig, die hier ausschlaggebend sind: entweder wir haben es in Sachen “Pro AfD” mit einem entsprechend großen Anteil glasklarer Rechtspopulisten, ihren Fans, Unterstützern und Sympathisanten zu tun, denen die “Wahrheit” schlicht egal ist und für die nur der Transport ihrer Ideologie wichtig ist – auch, um Unentschlossene zu überzeugen und ins Boot zu holen. Oder wir haben tatsächlich eine nicht nur marginale Masse an Menschen in der Bevölkerung, die in der AfD den einzigen Ausweg aus einer ihrer Meinung nach grundfalschen Politik sehen und denen es somit um die “Wahrheit” geht, für die die AfD als Symbol ihres Widerspruches gewählt wird – Rechte in der Partei oder ihrem Umfeld hin oder her.

Für die Medienanalyse ist es jedoch völlig egal, welcher dieser beiden Aspekte nun gilt. Klar und deutlich bleibt auf jeden Fall: das Digitale ist hier nicht der Grund für diese Entwicklung. Es wird sich nichts in den Köpfen ändern, nur weil man Kommentarbereiche schließt. Wenn es ganz schlecht läuft, behütet man so nicht einmal mehr die Unentschlossenen, denn die finden heutzutage ohnehin, was sie suchen – Stichwort VK.com. Auch in diesem Falle muss also ein souveräner Umgang mit den digitalen Möglichkeiten her. So unbeliebt das in Deutschland auch sein mag.