Erst Nerdismus, dann Extremismus … und dann die Selbstauflösung? Piraten zerlegen sich Stück für Stück weiter

Noch mehr bekannte Gesichter treten aus, noch mehr strukturelle Probleme tauchen auf: die Piraten haben mit ihrem sinkenden Schiff offenbar doch noch nicht den Tiefpunkt erreicht. Es findet ein rasanter Untergang statt, dem man kaum mehr folgen mag.

Nachdem der Nerdismus (1) der entscheidende Geburtsfehler war, den die Partei nie überwunden hat (meine vorsichtige Hoffnung vom 13. Mai 2013 hat sich leider nicht erfüllt), gibt ihnen der Linksextremismus nun offenbar den Rest:

“Die Aktion stehe symbolisch für einen Machtkampf innerhalb der Piraten, kritisiert Vetter: „Ein lautstarker, der Antifa nahestehender Flügel versucht, die Partei zu okkupieren.“ Die Parteilinke betreibe „brutales Mobbing“, findet der Strafverteidiger: „Die haben einen stalinistischen Ansatz – der Zweck heiligt die Mittel.“”

(Quelle: taz)

Andere Quellen führen zu ähnlichen Einschätzungen. Ob man es nun Stalinismus, Linksextremismus oder schlicht Dummheit (“2014 fast nur gestritten”) nennt: der Untergang der Piratenpartei geht ungebremst weiter. Da sich in der Bezirksverordnetenversammlung von Berlin-Reinickendorf bereits die Piratenfraktion aufgelöst hat, frage ich mich: wann zersplittert die erste Landtags-Combo?

Ich bin fest davon überzeugt, daß die Piraten bisher nicht nur keinerlei Fortschritt für die Gestaltung der Digitalisierung unserer Gesellschaft bedeuteten, sondern unterm Strich sogar kontraproduktiv waren und sind. Ihr miserables Auftreten hat genau den Parteien Rückenwind in Sachen Digitalisierung gegeben, die sicherlich den größten Nachholbedarf haben. Mit Offenheit, Demut, Diplomatie und Technikkompetenz hätten die Piraten die großen Fragen der zunehmend stärker digitalisierten Gesellschaft vielversprechend angehen können. Doch geschaffen haben sie diesbezüglich faktisch gar nichts, sie sind eine gescheiterte Partei. Ich sehe keine einzige digitale Herausforderung, die die Piraten entscheidend positiv mitgestaltet haben. Leider, wie ich immer wieder betonen muß. Denn die Digitalisierung breitet sich immer weiter aus und Antworten suchen selbst die regierenden deutschen Politiker händeringend:

“De Maizière hält das soeben übergebene IT-Sicherheitskonzept in der Hand, auf dem Deckel des Büchleins prangt eine Illustration mit Datenströmen und Vorhängeschlössern. Der Innenminister kommt ins Plaudern. Damals, im Jahr 2005, als er Chef des Bundeskanzleramts wurde, erzählt der CDU-Politiker, habe er sich noch mit Sicherheitsstandards für Fahrräder beschäftigt. Heutzutage ginge es um Standards für Datensicherheit, führt de Maizière aus. “In dem Bereich versteht die Politik wenig, da brauchen wir jede Hilfe”, räumt er ein. Und spricht damit selten ehrliche Worte auf der Computermesse.”

(Quelle: SpOn)

Im Zweifel können sich die Piraten letztendlich immer noch selbst auflösen. Das würde das derzeitige Leiden sicher verkürzen. Weiterer nennenswerter Schaden für die digitalisierte Gesellschaft muß derzeit nicht mehr befürchtet werden – die Partei wird ohnehin kaum mehr wahr-, geschweige denn ernstgenommen. Zumindest die Fans von Uli Hoeneß fänden den Schritt der Selbstaufgabe sicher respektabel.

Immerhin etwas.

(1) “Je stärker die Partei (…) zum Lebensmittelpunkt ihrer aktiven Mitglieder wird, desto schwerer fällt es diesen, Entwicklungen in Politik und Gesellschaft angemessen zu antizipieren.” (Klecha, S., Hensel, A.: Zwischen digitalem Aufbruch und analogem Absturz: Die Piratenpartei. Verlag Barbara Budrich, 2013. S. 163) Sprich: je mehr “digitalkulturelle Ausrichtung” (S. 166) die Lebenswelt prägt, desto mehr verliert man die nichtdigitale Lebenswelt aus den Augen. Die Eigengesetzlichkeiten der Digitalisierung fordern bei so einer Ungleichgewichtung ihren Tribut. Und damit können viele Piratenmitglieder offensichtlich nicht umgehen bzw. dies adäquat kompensieren. Der Nerdismus hat die wohlbekannten Folgen: “Die Piraten agieren sehr voluntaristisch, also aus dem Interesse oder der Betroffenheit von Parteimitgliedern heraus, und achten kaum auf eine strategisch-inhaltliche Verortung ihrer Partei oder gar die gesellschaftliche Relevanz ihrer Themen.” (S. 165)