Original oder Kopie? Innovation in Wissenschaft und Wirtschaft

Übermorgen werde ich Teil des Workshops “Business Models” auf dem “1st Symposium on Internet and Society” in Berlin sein, was mich sehr freut. Das sieht vielleicht auf den ersten Blick nicht nach Internetsoziologie aus, auf den zweiten Blick wird jedoch deutlich, daß es – gerade in Hinblick auf die Symposiums-Metaebene “Internet und Gesellschaft” – exakt um einen essentiellen Kernbereich meiner Arbeit (und damit auch wieder um Internetsoziologie) geht: Innovation.

Passend dazu bringt heise.de heute einen kurzen Artikel über einen “Krach in [der] Berliner Gründerszene”. Ein Disput soll aufgrund eines Aufrufs zur “anti-copycat revolution” entstanden sein: es geht dabei um die (nicht neue) Debatte, ob in der Digitalen Wirtschaft in Berlin/Deutschland “nur” kopiert oder auch eigene Inhalte erfunden werden. Der (m.E. völlig korrekt wiedergegebene) Eindruck: die großen digitalen Innovationen (d.h. Websites, Firmen, Projekte) stammen grundsätzlich aus den USA oder anderen Ländern wie China. In Deutschland hingegen beschränkt man sich ebenso grundsätzlich auf das Kopieren solcher Ideen. Beispiele: Alando, StudiVZ, Zalando.

Nun muß man diese Kopieridee nicht zwangsläufig schlecht oder verwerflich finden. Aus wirtschaftlicher Sicht mag es durchaus Sinn ergeben, eher auf eine ziemlich sichere Sache zu setzen als volles Risiko mit einer brandneuen Idee zu fahren. Aus Innovationssicht führt diese Strategie natürlich maximal auf den zweiten Platz des Siegertreppchens, auch wenn dies vielleicht in der breiten Öffentlichkeit (die ja meist die Zielgruppe ist) keine Rolle spielen mag und deshalb höchstens szeneintern für Geflüster – oder Gebrüll, siehe oben – sorgen mag.

Logischerweise kann selbst der beste Kopierer nicht innovativer sein als das Original, was zu der Frage führt, warum das Original denn überhaupt so entscheidend sein soll. Befinden wir uns nicht seit Jahren in einer permanenten Wirtschaftskrisensituation, die gerade uns, den Mitgliedern der Eurozone, Demut und Bescheidenheit lehren sollte? So nach dem Motto: immerhin haben wir, was wir haben, und damit sind wir bisher gar nicht so schlecht gefahren. Die staatlichen Kassen sind leer, Banken und EU-Länder kriseln – paßt da eine gewagte Innovationskultur überhaupt in die Landschaft?

Meine Meinung ist da ziemlich eindeutig: ja. Denn Innovation im digitalen Bereich ist etwas, was sich definitiv auszahlt – vor allem, wenn man der Trendsetter und nicht nur der Kopierer ist:

“So kann sich die Netz-Industrie, die sich längst vom eher lethargischen Rest der US-Wirtschaft abgekoppelt hat, auf dem Gipfeltreffen ungestört selbst feiern. “Wir können uns wahnsinnig glücklich schätzen, die Internet-Branche erlebt derzeit eine beispiellose Zeit”, sagt Mary Meeker von der weltweit führenden Wagniskapital-Firma Kleiner Perkins Caufield & Byers, die unter anderem bei Facebook, Spotify und Twitter investiert ist. E-Commerce werde weiter extrem wachsen, ebenso der Tablet- und Smartphone-Markt, der Plattform-Wechsel vom Web zur Cloud werde wieder ganz neue, radikal neue Möglichkeiten schaffen.”

(Quelle: SpOn)

Schon allein aus wirtschaftlicher Sicht dürfte sich deshalb meines Erachtens hier gar keine Frage stellen: Natürlich ist es notwendig, selbst innovativ und erfinderisch und nicht nur ein guter Kopierer zu sein. Wie man dies hinbekommt – jenseits von Versuch und Irrtum -, das wird die Frage sein, die es zukünftig noch stärker als bisher zu beantworten gilt.

Und genau darum wird es eben auch im oben bereits erwähnten Workshop am Mittwoch gehen, denn die Digitale Klasse, in der ich seit über fünf Jahren tätig bin und die ich am Mittwoch auf dem Symposium entsprechend repräsentieren möchte, gehört inzwischen zu den besonders innovativen künstlerisch-wissenschaftlichen Keimzellen hier in Berlin. Unsere Team- und Projektstrategien haben sich als sehr erfolgreich erwiesen und dürften in naher Zukunft – auch aufgrund des neuen Instituts für Internet und Gesellschaft, an dem die UdK maßgeblich beteiligt ist – noch weiter ausgebaut werden. Das Ziel ist, eine dichte Verwebung von Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft zu erschaffen, die transdisziplinär und langfristig vorgeht und sich gleichermaßen Grundlagen- wie anwendungsorientierter Forschung widmet. Denn nur so wird das ganze Spektrum abgedeckt: von der Idee bis zum Endergebnis, sei es eine soziale Strategie, ein Patent oder ein Produkt.

Die im letzten halben Jahrzehnt im Rahmen meiner Tätigkeit in der Klasse gewonnenen Erkenntnisse dürften hier eine bedeutende Rolle spielen, gerade wenn es um eine Methodologisierung geht, die uns digitale Handlungs- und Verhaltensstrategien aufzeigen soll. Denn selbstverständlich ist die Unsicherheit bei der Unterstützung bspw. Finanzierung eines brandneuen Startups nachvollziehbar: nur wenig ist kalkulierbar, vieles geschieht auf Vertrauensbasis. Zudem ist die Digitalisierung eine echte Revolution, was die Anwendung bisheriger Strategien bzw. Überleitung von analogen Methoden in digitale Szenarien erschwert und für zusätzliche Nervosität sorgen kann. Dies empfindet der einzelne User, der sich mühsam mit neuen digitalen Entwicklungen und ihren Folgen zurechtfinden muß, wohl kaum anders. Hier gilt es deshalb soziale (und nicht technische) Strategien und Methoden zu entwickeln, die wirksam Abhilfe schaffen (beispielsweise “Sociality by design”, in Anlehnung an “Privacy and legality by design”).

Ich bin deshalb sehr gespannt auf den Workshop am Mittwoch und hoffe bei einer solch umfangreichen Anzahl von Experten auf eine sehr kreative Runde. Die Digitale Klasse wird an diesem Thema auf jeden Fall dranbleiben, soviel steht fest. Das morgen startende Forschungsseminar “Networked Systems” wird sich diesem Thema das ganze Semester über intensiv widmen.