Das ganze Leben lang digital – und darüber hinaus …

Im vergangenen Jahr habe ich einige Interviews zum Thema Onlinepräsenzen für Neugeborene gegeben, doch nicht nur der Beginn eines neuen Lebens, auch das Ende eines digital aktiven Lebens stellt die Gesellschaft (und hier erneut die Angehörigen) vor neue Herausforderungen:

“For most survivors, coping with the physical possessions and conventional assets of the departed can be overwhelming enough, but at least there are parameters and precedents. Even if a houseful of objects is liquidated through an estate sale or simply junked, mechanisms exist to ensure some sort of definitive outcome, even in the absence of a will. (…) Bit-based personal effects are different. Survivors may not be aware of the deceased’s full digital hoard, or they may not have the passwords to access the caches they do know about.”

(Quelle: “Cyberspace When You’re Dead“, The New York Times)

Im Artikel zeigt sich meines Erachtens sehr gut, daß es hierbei vorrangig nicht um rechtliche Fragen geht (mit einer Sterbeurkunde erhält man durchaus die Passwörter zu den Accounts verstorbener Angehöriger und kann so Daten sichern), sondern vor allem um soziale Fragen. Es fehlen nicht nur die passenden Methoden, das digitale Andenken eines Verstorbenen zu bewahren, sondern auch adäquate Möglichkeiten der Bewertung und der Kontextualisierung, wie am Beispiel des verstorbenen Bloggers und seiner Eltern im Times-Text deutlich wird: Diese entdecken nach seinem Tod dank seiner Freunde, welche u.a. seine Blogeinträge retten konnten, eine völlig neue Welt, die ihren Sohn aus einer ganz anderen Perspektive zeigt und ihr Bild von ihm gewinnbringend ergänzt. Sie hätten es wohl sehr bedauert, wenn ihnen diese Perspektive aufgrund eines Datenverlustes verwehrt geblieben wäre. Große Teile der Lebenszeit ihres Sohnes wären ihnen unbekannt geblieben – Teile, die paradoxerweise aber öffentlich waren und gar nicht verborgen bleiben sollten.

Dazu kommt die Frage der Selbstkontrolle: Wer in der analogen Welt aktiv an seiner Identität arbeitet und sich Gedanken über die Wahrnehmung seines Lebens nach seinem Tod macht, der wird kaum wollen, daß sein digitales Erbe unberücksichtigt bleibt oder falsch verstanden wird. Denn es ist Teil der Identität, des Selbst – und damit Teil des Menschen und seines Erbes. Immer mehr Menschen werden sich daher um ihr digitales Erbe kümmern – und im Idealfall den Hinterbliebenen auch etwas in die Hand geben können, was ihnen die Einordnung der Hinterlassenschaften in ihr bisheriges Bild des Verstorbenen ermöglicht.

Wer mehr zu diesem Thema wissen möchte, wird auf den zwei Konferenzen in 2011 fündig, die die Digital Death Community vorbereitet – eine davon wird in Europa stattfinden, im Anschluß an die “Dying, Death and Disposal Conference” in den Niederlanden im September. Die andere wird voraussichtlich nach der SXSW-Konferenz in Austin, Texas stattfinden. Mehr dazu bei passender Gelegenheit hier.