Netzneutralität: Alles unter Kontrolle

Das Internet macht keinen Unterschied: alle Daten haben dieselbe Priorität, egal ob Suchmaschine oder private Website. Der Kunde eines Internetproviders kann jede Website, jeden Service und jeden Datensatz ohne künstliche Hürden abrufen, mal abgesehen von technischen Aspekten wie Geschwindigkeit und Netzstabilität. Mit einer Einschränkung: Vor allem Mobilfunkanbieter haben schon heute Servicebremsen installiert, die beispielsweise Internettelefonie via UMTS verbieten oder zumindest erschweren. Doch auch dies ist lediglich eine Maßnahme, bestimmte Services zu unterbinden. Die Datenquelle, der Inhalt oder die Wertigkeit für den User spielen keine Rolle – und das soll auch so bleiben, wenn es nach den Befürwortern der Netzneutralität geht. Diese sehen den freien Datenverkehr derzeit massiv bedroht. Und schuld sind die großen Webunternehmen.

Es dürfte nicht überraschen, daß das Neutralitätsprinzip immer wieder mal in Frage gestellt wird. Attackiert wird es dabei vor allem von zwei Seiten: Einerseits gibt es Anbieter, die eine Priorisierung ihrer Daten gut fänden, z.B. Internet-TV-Anbieter. Bisher ist aufgrund der Gleichrangigkeit der Daten das Fernsehen im Netz nicht besser dran als ein Privatblog oder Tauschbörsendateien. Ein ruckelfreies TV-Vergnügen gibt es auch bei leistungsstarken Internetzugängen nur durch eine Datenpufferung, welche dafür sorgt, daß Schwankungen beim Datenabruf abgefedert werden. Diese Pufferung verhindert aber spontanes Fernsehvergnügen, denn wer möchte schon fünf Sekunden auf einen TV-Sender warten, wenn er nach drei Sekunden sowieso wieder wegzappt? (Von hochauflösenden 3D-Erlebnissen mit ihren auch nach heutigen Standards gigantischen Datenvolumina einmal ganz zu schweigen.) Andererseits gibt es aber auch Zugangsanbieter, die sich durch eine Datenpriorisierung mehr Einnahmen versprechen. Warum sollte man potente Netzgiganten wie Google nicht extra zur Kasse bitten, wenn sie schon einen Großteil des gesamten Datenverkehrs stellen? Man ist, so die Logik, schließlich nicht der ergebene Diener großer Webkonzerne, die sich an den DSL- und Kabelnetzkosten nicht beteiligen, jedoch viel Geld mit dem Netz verdienen. Vor allem dann nicht, wenn man vom reinen Zugangs- zum Inhalteanbieter mutieren möchte. Und das möchten einige.

Wenn also von Neutralität die Rede ist, geht es ganz konkret um die Bewertung von Inhalten. Wenn man lediglich festlegt, daß bestimmte Services wie IP-Telefonie und Internet-TV eine gewisse Priorität genießen, den Datenstrom jedoch nicht inhaltlich bewertet, lassen sich für eine solche Netzregulierung durchaus Fürsprecher finden. Niemand dürfte es schließlich den Providern verübeln, schon allein aus ökonomischen Gründen technische Grenzen zu ziehen, damit ihr Geschäftsmodell nicht gefährdet wird. Internet-Flatrates sind streng genommen keine tatsächlich grenzenlosen Angebote, sondern stets eine Mischkalkulation, die nur dann aufgeht, wenn das Angebot nicht übermäßig strapaziert oder gar mißbraucht wird. Mit diesen technischen Einschränkungen geht dann aber immer noch keine Bewertung von Inhalten einher, denn es wird nicht zwischen Telekom- und Vodafone-Telefonie oder ARD und RTL unterschieden, sondern eben nur nach der Art der Daten.

Offen und besonders spannend ist die Frage, wer all diese neuen Regeln festlegt. Gegen multilaterale Vereinbarungen auf Unternehmensebene kämpfen vor allem Netzaktivisten, Start-up-Gründer und Politiker. Für viele geht es dabei um die Frage, wie das Internet der Zukunft aussehen soll: inhaltlich frei oder ausgerichtet an den Bedürfnissen von Unternehmen und Märkten, die die Netzspielregeln nach wirtschaftlichen Kriterien (und damit letztlich selbst) festlegen. Wird es auch in Zukunft noch ein Netz geben, welches kleinen Startups ermöglicht, groß zu werden? Hat der User auch in Zukunft noch die freie Wahl oder hängt es vom Provider ab, welche Daten wann und wie abrufbar sind? Haben in Zukunft die User Vorfahrt, die sich die linke Spur auf der Datenautobahn leisten können? Staatliche Internetzensur ist nichts Neues mehr. Eine inhaltliche Zensur durch Unternehmen befürchten viele Kritiker, wenn es zu keinen für alle verbindlichen Neutralitätsregeln kommen sollte. Daß diese jedoch dringend nötig sind, meinen nicht nur die Befürworter der Netzneutralität. Egal, ob man nun für staatliche Regulierungen oder die völlige Freiheit der Unternehmen ist: das Internet wird sein Aussehen massiv verändern. Es wird mobiler, allgegenwärtig und allumfassend. Es wird eine Zunahme von Empfangsangeboten wie Internet-TV und Videoportalen geben, die massive Datenmengen bewegen – trotz vorhandener digitaler Broadcastlösungen. Und mit dieser Metamorphose geht zwangsläufig auch ein Wandel der Spielregeln einher. Früher oder später wird es deshalb zu einer Neuordnung kommen müssen. Die Diskussion darüber hat gerade erst begonnen.