Soziales Hetzwerk: Über Hass und Gewalt im Politikbetrieb

Gestern war es social-media-mäßig ein wenig spannender als üblich. Ich bin bei Twitter mit PolitikerInnen aller im Bundestag vertretenen Parteien wechselseitig vernetzt (mit Ausnahme der AfD) und manchmal gefällt mir einer ihrer Tweets oder ich twittere etwas über ein Interview oder einen anderen Beitrag dieser Menschen. Und manchmal gefällt das den Betroffenen, dann liken oder retweeten sie diesen Content. Manchmal bekomme ich einen Druko, vor allem, wenn meine Aktionen den Betroffenen nicht gefallen. Und manchmal passiert … nichts. So weit, so normal für Social Media.

Doch es wird immer ein klein wenig intensiver, wenn die besonders prominenten und profilierten Köpfe mitmischen. Und gestern wurde mein Tweet über eine aus meiner Sicht ganz allgemein sehr wahre Aussage von Marie-Agnes Strack-Zimmermann auch von ihr retweetet. Früh am Tag. Als einziger Retweet ihrerseits an diesem Tag. Um es an dieser Stelle kurz zusammenzufassen: Es wurden in der Folge sehr interessante Stunden.

Dabei lesen sich die nackten Zahlen vielleicht gar nicht so mega-spektakulär. Der Tweet wurde bis zum jetzigen Zeitpunkt 303-mal geliked, 46-mal retweetet und 250-mal kommentiert. Besonders interessant ist dabei der letzte Punkt, die Kommentare. Wer sich ein wenig mit Social-Media-Analysen auskennt, der ahnt, daß es hoch her ging, denn normalerweise liegt das Engagement bei „normalen“ Tweets auf den Likes, d.h. man erhält Zahlen wie 500 Likes, 10 Retweets und 30 Kommentare. Besonders drastisch wird es stets, wenn es mehr Kommentare als Likes gibt. So heftig wurde es hier (bisher) nicht, aber es wurde wild genug, um ausreichend viel Material für viele Seminare und Consultingsitzungen zu erhalten. Denn die Kommentare hatten es in sich. Hier ein paar Erkenntnisse:

– Die Aussage meines Tweets ging meist unter. Stattdessen konzentrierte man sich in den Kommentaren auf die Aussage von Frau Strack-Zimmermann und stieß sich vor allem am Wort „Opferbereitschaft“

– Aufgrund dieser Fokussierung landete ich an diesem Tag als einer der Top-Twitterer mit dem Wort „Opferbereitschaft“ in den deutschen Twitter-Trends

– Beschimpfungen waren massenhaft zu finden, nicht selten von den „üblichen Verdächtigen“, d.h. Kleinstaccounts, AfD-Fans, Querdeppen und anderen Hetzern und Pöblern

– Auch skurrile Drukos tauchten auf, mit sehr seltsamen, esoterischen oder einfach nur wirren (oftmals religionsbezogenen) Aussagen

– Einige handfeste Drohungen gegen Frau Strack-Zimmermann und mich waren ebenfalls dabei

Es wird noch viel mehr zu extrahieren geben, u.a. zeitliche und inhaltliche Aspekte der Reaktionen und die entstandenen Diskussionen unter dem Tweet, aber eine Sache ist und bleibt besonders markant: Der Aspekt der Beleidigungen und Bedrohungen. Man mag von PolitikerInnen jeweils halten was man will, man mag ihre Politik mögen oder ablehnen, aber niemand, wirklich niemand sollte Gewaltandrohungen oder handfeste Beleidigungen erhalten. Wenn das schon bei „nur“ ca. 250 Kommentaren so dermaßen deutlich ausfällt, dann mag man sich kaum vorstellen, wie das bei noch größerer Reichweite, noch mehr Tweets oder noch kontroverseren Aussagen aussehen dürfte.

Dabei geht es mir nicht um die Tatsache, daß in den sozialen Netzwerken Hass und Hetze so häufig vorkommen – das wissen wir leider alle schon seit langem und gegen diese Auswüchse arbeite ja nicht nur ich, sondern auch zahlreiche weitere Kolleginnen und Kollegen u.a. in der Extremismusforschung. Es gibt aber stets ein paar besondere Erkenntnisse, die vielleicht auch nicht unbedingt neu, aber doch prägnant sind, weil man sie dann konkret erlebt und dieses Erleben besonders akzentuierend wirkt. Zum Beispiel wird bei so einem Tag sehr gut deutlich, warum PolitikerInnen Social-Media-Teams haben, warum Karl Lauterbach Personenschutz hat, warum die Arbeit gegen konkrete Hasstweets oder -kommentare mental anstrengend und schwierig ist und warum man ein sehr stabiler Charakter sein muß, um all dies auszuhalten. Ich habe keine Parteipräferenz, ich bin kein Parteimitglied und denke, daß WissenschaftlerInnen auch keine AktivistInnen sein sollten, für keine Partei, aber ich stimme Frau Strack-Zimmermann (und anderen PolitikerInnen) zu, wann immer ich es für richtig halte und bewundere stets ihre Haltung und ihre politische Arbeitsleistung, denn dieser Job ist wahrlich nicht vergnügungssteuerpflichtig. Und dumme Sprüche, Hass und Bedrohungen sind keine Erfahrung einzelner PolitikerInnen, sondern dürften früher oder später leider jede/n betreffen, auf europäischer, Bundes-, Landes- und auch – und das ist besonders schlimm – kommunaler Ebene. Wer meint, daß PolitikerInnen sich digital mal nicht so anstellen sollen, dem empfehle ich einen Tag mit dem Social-Media-Team einer/eines Abgeordneten. Danach dürfte man anders denken. Und wem die Arbeit einer Politikerin oder eines Politikers nicht gefällt, der sollte nicht hetzen, sondern sich demokratisch engagieren. Alles ist möglich: von zivilisierter (!) Kritik bis zum demokratischen Kampf um ein Mandat.

Um auf den Ausgangstweet zurückzukommen: Es geht im Leben nicht immer nur um uns, es geht manchmal um mehr. Auch im digitalen Raum. Die Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten ist eine Aufgabe für jedermann, eine Weg, der auch im Kleinen beschritten werden muß. Widerspruch, Haltung, Entschlossenheit – dies alles ist auch online wichtig. Aber auch das Erkennen der eigenen Grenzen, die Suche nach Hilfe, denn niemand ist unverwundbar. Gemeinsam ist diese Herausforderung aber bewältigbar, wenn wir alle ein Mindestmaß an Zivilität akzeptieren und schützen.

Denn, ganz ehrlich: Die Alternative zu diesem Weg mag ich mir nicht vorstellen. Das wurde durch den gestrigen Tag wieder einmal deutlich.