Der erste “Arbeitsbereich Internetsoziologie” Deutschlands wird massiv ausgebaut

Seit einigen Jahren bin ich nun dank der tatkräftigen Unterstützung des nimmermüden Medienpioniers und digitalen Visionärs Prof. Joachim Sauter internetsoziologisch an der Universität der Künste Berlin aktiv. Es fing 2006 ganz klein mit einem Lehrauftrag und der spontanen Übernahme von Diplomprüfungen (durch den unerwarteten Tod von Prof. Gerburg Treusch-Dieter) an – und es war ein echtes Experiment, basierend nur auf einer Idee, die Joachim Sauter als erster (und erstaunlicherweise auch lange als einziger) für gut befand: die Analyse von Internet und Gesellschaft durch einen Soziologen, kurz: Internetsoziologie.

Erfreulich schnell wurde mein Forschungsseminar fester Bestandteil des Curriculums und die Zahl der internen und externen Interessierten stieg kontinuierlich an. Überraschend fix erreichten wir auch Kapazitätsgrenzen im Seminar, zudem gab es Dutzende Vordiplom- und Diplomprüfungen, von denen viele direkt auf den Ideen aus dem Seminar fußten. Papers entstanden, Vorträge wurden gehalten, mein Buch “Digitale Identitäten” wurde lobend als erster internetsoziologischer Ansatz bezeichnet. Der Begriff “Internetsoziologie” schien sich langsam, aber sicher zu etablieren, das Experiment schien zu gelingen.

Dabei war der Weg – wenig überraschend – keineswegs immer leicht. Wer den Hochschulbetrieb kennt, der weiß, was ich meine. Desöfteren stellte sich vor allem aufgrund der Rahmenbedingungen die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines solchen Vorhabens. Warum unbedingt etwas Eigenes aufbauen, und dann noch in dieser Größenordnung? Warum nicht einfach in jemandes Fußstapfen treten, die Stellen so annehmen, wie man sie kriegt? Warum unbedingt mühsame, riskante Pionierarbeit leisten – und das in einem Land, in dem es gerade im Bereich der Digitalisierungsanalyse offenkundig enorme Defizite gibt und in dem die für die Universitäten verantwortlichen Politikerinnen und Politiker zwar gerne von der Bildungsrepublik Deutschland sprechen, doch oftmals nicht einmal wissen, wie soziale Netzwerke funktionieren? Und all dies nicht von einer sicheren Professur aus, sondern von Beginn an, direkt nach dem Diplom? Gute, absolut berechtigte Fragen stellten sich, und zwar immer und immer wieder.

Und natürlich gibt es viele passende Antworten und viele Faktoren, die zu der Entscheidung, letztlich doch kontinuierlich weiterzumachen, beigetragen haben, doch wenn ich nur eine einzige Antwortmöglichkeit auswählen dürfte, dann wäre es diese: intrinsische Motivation. Eigentlich ein Wissenschaftsklassiker, aber meiner Erfahrung nach viel zu selten vorzufinden. Bei Joachim Sauter fand ich diesen inneren Antrieb, auch bei den Kolleginnen und Kollegen, die sich weltweit sehr engagiert der Analyse der Digitalisierung unserer Gesellschaft widmen, z.B. in der Association of Internet Researchers (AoIR). Und diese Menschen haben mich durch ihre Haltung und ihr Handeln zweifellos motiviert.

Viel zu viele Menschen im Unibetrieb wollen leider gar nichts wagen, hatten wenig Verständnis oder – noch viel schlimmer – gar kein Interesse am (und auch keine Ahnung vom) Internet. Wenn man sich die revolutionäre Entwicklung des Netzes in den vergangenen zwei Jahrzehnten anschaut, mag eine solche Verweigerungshaltung nicht nur aus der Expertenperspektive geradezu abenteuerlich erscheinen. Doch sie ist mir viel häufiger begegnet als anfangs erwartet. Dabei ging es mir mit meiner Idee ja nicht darum, den einzig gangbaren Weg predigen zu wollen, sondern ganz grundsätzlich eine sozialwissenschaftliche Digitalisierungsanalyse zu starten.

Wie gesagt: man brauchte schon ein sehr großes Vertrauen in die eigene Idee, über etliche Jahre, über einige ziemlich harte Durststrecken hinweg. Man brauchte die Überzeugung, daß die Zeit einem recht geben wird. Und man brauchte die Unterstützung von Menschen, die über den Tellerrand hinausschauen und denen auch ein Scheitern der Idee nicht als Makel erschienen wäre, sondern als Zeugnis von Wagemut und Pioniergeist (etwas, woran es meiner Überzeugung nach in diesem Land gerade in Hinblick auf das Internet eklatant mangelt).

Nun ist es anhand der Überschrift leicht zu erkennen: die Idee ist nicht gescheitert, ganz im Gegenteil. Sie tritt mit dem heutigen Tage in eine neue Phase ein. Über neue Projekte und Mitstreiter wird es bereits in Kürze offizielle Verlautbarungen geben, doch soviel sei schon jetzt verraten: die sozialwissenschaftliche Digitalisierungsanalyse, die ich unter dem Label “Internetsoziologie” durchführe, wird für die kommenden Jahre meine Haupttätigkeit sein. Das Wagnis hat sich für die UdK, so meine Überzeugung, letztlich ausgezahlt und deshalb wurde und wird der Arbeitsbereich Internetsoziologie ganz offiziell deutlich ausgebaut. An der einzigen Universität, die von Beginn an Unterstützung gewährt hat, vor allem in Person von Joachim Sauter. Ihm gilt deshalb ganz besonderer Dank! Ebenso danke ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der UdK, die sich im Vorfeld mit meinem Vorhaben beschäftigt und vieles möglich gemacht haben sowie natürlich den Projektpartnern, von denen schon bald viel Spannendes zu hören sein dürfte. Und spätestens mit der Eröffnung des Alexander-von-Humboldt-Instituts für Internet und Gesellschaft (HIIG) im vergangenen Jahr dürfte auch den letzten Skeptikern klar geworden sein, daß die UdK genau der richtige Ort für diese Arbeit ist.

„Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren”. Was soll ich sagen? Brecht hatte wieder einmal Recht.